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CCC trauert um Jürgen "Bishop" Christ

26. August 2025, 21:25 Uhr, dennis

Jürgen Christ, in der Netzszene unter dem Namen „Bishop“ bekannt, war ein unerschrockener Journalist, ein früher Pionier der digitalen Kultur und ein entschiedener Verfechter von Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit. Er starb im August 2025.

Nachruf auf Jürgen „Bishop“ Christ * 1962 bis † 2025

In den 1980er-Jahren gründete Jürgen die Underground Mailbox Cologne (UMC), eines der ersten E-Mail-Systeme in Deutschland. Als „Hackerbischof“ verband er Technik mit Philosophie und Kultur, nannte Computer eine „Kunst- und Kulturmaschine“ und begriff digitale Netze als Räume der Emanzipation. 1985 folgte die Gründung der Computer Artists Cologne (CAC), einer Schwesterorganisation des Chaos Computer Clubs.

Mit Wau Holland, einem engen Freund und Weggefährten, entwickelte er Ideen, die die Hackerszene friedlich prägten – vom kreativen Widerstand gegen die Bundespost bis hin zu Aktionen wie dem „Protestklingeln“ 1995 gegen französische Atombombentests.

Jürgen war eng verbunden mit dem Mailbox-Pionier Günther Leue, dem Gründer von GeoNet und Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs. Während Leue mit juristischem Mut und technischer Innovation das Postmonopol durchbrach und Mailboxen in Deutschland etablierte, brachte Jürgen diese Ideen in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs ein. Beide verband der Pioniergeist, digitale Kommunikation frei, sicher und demokratisch zugänglich zu machen.

Er verweigerte den Wehrdienst mit der Begründung, als Hacker keine Geheimnisse wahren zu können, da er der Wahrheit und der Weitergabe von Informationen verpflichtet sei. Dass er damit durchkam, erfuhr er am Messestand des FoeBuD auf der CeBIT. Dort veröffentlichte das Presseteam von FoeBuD, CCC und Jürgen eine gemeinsame Pressemitteilung – versehen mit dem offiziellen CeBIT-Logo, was fast zum Ausschluss des FoeBuD von der Messe führte.

Früh erkannte Jürgen gesellschaftliche Umbrüche. Gemeinsam mit Wau Holland veröffentlichte er 1992 in der Leipziger Volkszeitung den Artikel „Das Ende der Demokratie“, in dem sie Flüchtlingskrisen, den Aufstieg der neuen Rechten und die allgegenwärtige mobile Vernetzung voraussahen. In demselben Jahr verwendete Jürgen bereits den Begriff „Smartphone“ – Jahre bevor er offiziell in die technische Sprache Eingang fand.

Sein Engagement galt stets einer demokratischen Nutzung der digitalen Medien. Mit dem selbst entwickelten Online-Konferenzsystem Tele-o-Log erprobte er in den 1990er-Jahren Bürgerbeteiligung im Netz – etwa mit Konferenzen über Verschlüsselung, Frauen in der Politik, Homeoffice oder über Europas Rolle. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Parallel entstanden Online-Communities wie Telemat und Telematin.

1997 veröffentlichte Jürgen gemeinsam mit Otfrid Weiss und anderen Mitstreitern die Online Magna Charta, auch bekannt als Wartburg-Charta. Sie forderte ein universelles Menschenrecht auf digitale Existenz, Informationsfreiheit und ein „virtuelles Zuhause“ – Grundrechte, die heute aktueller sind denn je. Die UNESCO würdigte diese Erklärung als wichtigen internationalen Beitrag.

Jürgen war nicht nur Technikpionier, sondern auch politischer Beobachter mit feinem Gespür für Missstände. Als Journalist deckte er in den 1990er-Jahren politische Skandale auf, doch seine Ehrlichkeit und Sensibilität machten ihn für das harte Tagesgeschäft der Politik zu kompromisslos. Seine Haltung war stets: Frieden statt Gewalt, Freiheit statt Angst, Menschlichkeit vor Macht.

Sein Lebensweg war eng mit der Erinnerung an seinen Freund Wau Holland verbunden. In seiner Rede 2021 zum Film „Alles ist eins. Außer der Null“ schilderte Jürgen ihre Freundschaft als ein jahrzehntelanges Ringen um digitale Aufklärung, Offenheit und den Schutz vor Missbrauch neuer Technologien.

Jürgen Christ hinterlässt Spuren als Visionär, Netzaktivist und Freund. Er war ein Mensch, der in Technik Kultur sah, in Daten Demokratie und in Kommunikation Menschlichkeit. Sein Vermächtnis ist ein Auftrag: digitale Freiheit und Würde der Menschen zu verteidigen – mit Liebe, Mut und offenem Visier.

Jürgen hat sein Leben immer selbstbestimmt gestaltet und ist nicht unerwartet nach wenigen Tagen auf einer Palliativstation am 17. August 2025 verstorben.

Wir sind dankbar für die Zeit, die wir mit Dir teilen durften.

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