Calendar

CCC fordert Innenminister Dobrindt auf, sein „Sicherheitspaket“ zurückzunehmen

7. August 2025, 23:56 Uhr, henning

Die jüngsten Pläne des Bundesinnenministers mit einem „Sicherheitspaket 2.0“ sehen folgenschwere neue Überwachungswerkzeuge für die Polizeiarbeit vor. Darunter finden sich eine umlackierte Rasterfahndung in einer polizeilichen „Superdatenbank“ sowie die Einführung experimenteller automatischer Biometriedatenvergleiche. Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis, darunter der CCC, fordert daher in einem offenen Brief das sofortige Ende dieser Vorhaben.

Dobrindt will den Polizeien des Bundes die Befugnis erteilen, das Internet als Datenquelle für massenhafte biometrische Abgleiche zu missbrauchen. Hierzu sollen kaum veränderliche Körperdaten wie die Stimme oder das Gesicht von Menschen im öffentlichen Netz abgegrast werden, um sie dann mit Verdächtigen oder auch Zeugen auf Übereinstimmung zu vergleichen.

Die Biometrievergleiche könnten beispielsweise mit aus dem Internet zusammenkopierten Gesichtsbildern, aber auch mit Bewegungsmustern oder mit Hilfe von Verhaltenserkennung vorgenommen werden.

Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, kommentiert: „Die Pläne Dobrindts zur biometrischen Fahndung im Netz sind gefährlich und rundweg abzulehnen. Denn sie würden den öffentlichen Raum Internet verändern: Millionen Gesichter in Bildern oder Filmen, die Menschen alltäglich im Netz teilen, würden zum biometrischen Rohstoff für automatisierte polizeiliche Suchen. Dass der Innenminister dabei über europäische Datenschutzregeln einfach hinweggeht, zeigt eine beunruhigende Ignoranz gegenüber bestehenden Rechten.“

Dobrindt missachtet hierbei gleich mehrere EU-Regeln mit Anlauf: Die Pläne kollidieren auch mit der KI-Verordnung, die es explizit verbietet, ungezielt Gesichtsbilder aus dem Netz zum Aufbau einer Gesichtsdatenbank auszulesen.

Polizeiliche Datenanalyse

Das zweite Projekt von Dobrindt ist die Zusammenführung von Polizeidaten in bisher nicht gekanntem Ausmaß, um sie für Analysen zu erschließen. Die erheblichen Datenmengen, die zu höchst unterschiedlichen Zwecken bei der Polizei erhoben wurden, sollen in eine riesige Schattendatenbank überführt und dann ausgewertet werden.

Das Ganze soll dem Vernehmen nach auch noch von Software von dem US-amerikanischen Überwachungskonzern Palantir übernommen werden – zumindest wird das von Dobrindt erwogen. Was genau deren Software mit den Millionen Informationshappen macht, ist und bleibt das Geheimnis des Konzerns. Es gibt außer den immer wieder vorgeführten fingierten Fallbeispielen keinerlei handfeste Belege, dass diese Software einen nachweisbaren Nutzen hat. Geprüft wurde wohl mal eine ältere Version, aber nicht mal das war öffentlich nachvollziehbar.

Der CCC möchte bei dieser Gelegenheit betonen, dass Palantir-Software-Spenden gern entgegengenommen werden.

Constanze Kurz, CCC-Sprecherin: „Auch Dobrindts Plan in seinem ‚Sicherheitspaket‘, alle Polizei-Datenbestände zusammenzuführen und automatisiert zu analysieren, muss gestrichen werden. Es würde die alltäglichen Polizeikontakte von Menschen in eine undurchsichtige Analyse-Maschinerie hineingeben, die nichts mehr mit dem eigentlichen Zweck der Datenerhebung zu tun hat. Dass dazu auch nur erwogen wird, den US-Konzern Palantir mit der Polizeidatenanalyse zu beauftragen, lässt die Aussagen zur ‚digitalen Souveränität‘ im Koalitionsvertrag geradezu lächerlich erscheinen.“

In diesen Bestrebungen wird erneut die sicherheitspolitisch oft beobachtete naive Technikgläubigkeit deutlich. Das bloße Zusammenwerfen von verfügbaren echten oder halluzinierten Informationen soll durch den Zukauf einer kommerziellen Software magisch gewissenhafte Polizeiarbeit ersetzen und soziale Probleme lösen können. In der Realität zeigt sich jedoch immer wieder, dass unter den blinden Flecken der eingesetzten Software und durch die schon in den Daten eingebauten Vorurteile oft Unschuldige ins Visier der Behörden geraten.

Wir fordern daher mit Nachdruck: Automatisierte Biometrieabgleiche gehören verboten statt sie in ein Gesetz zu gießen. Und eine Rasterfahndung bleibt eine Rasterfahndung, auch wenn ein Konzern „was mit KI“ drübersprenkelt.

 

Der offene Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Merz,
sehr geehrter Herr Vizekanzler Klingbeil,
sehr geehrter Herr Bundesminister des Innern Dobrindt,
sehr geehrte Frau Bundesministerin der Justiz Hubig,

der bekannt gewordene Referentenentwurf zur „Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit“ zeigt, dass die Bundesregierung massenhafte biometrische Überwachung sowie KI-gestützte „Superdatenbanken“ einführen möchte.

Konkret sieht der Entwurf zum einen vor, das gesamte öffentliche Internet, insbesondere also auch Social-Media-Plattformen und öffentliche Chat-Gruppen, mit den biometrischen Daten gesuchter Personen abzugleichen. Bundeskriminalamt und Bundespolizei sollen diese Befugnis nicht nur zur Bekämpfung von Terrorismus erhalten, sondern als Standardmaßnahme für nahezu alle Tätigkeiten, die in ihren Aufgabenbereich fallen, insbesondere auch zur Identifikation und Aufenthaltsermittlung von Personen, die keiner Straftat verdächtig sind. Gleiches gilt für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das dieses Instrument ohne jeden Bezug zu einer Straftat oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Feststellung der Identität von Personen nutzen können soll.

Ein solcher Abgleich von biometrischen Daten ist technisch jedoch nur möglich, wenn riesige Gesichtsdatenbanken aller Menschen, die im Internet abgebildet sind, angelegt werden. Solche Gesichtsdatenbanken sind nach Artikel 5 der KI-Verordnung (5(1)(e)) eine verbotene Praxis, da sie Massenüberwachung und umfassende Profilbildung ermöglichen und zu schweren Verstößen gegen Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, führen können. Sie können außerdem zu einem Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung führen. So könnten es Menschen etwa vermeiden, Fotos und Videos im Netz zu teilen oder Tätigkeiten nachzugehen, von denen Aufnahmen im Netz veröffentlicht werden könnten.

Wir fordern Sie daher auf, sich gegen jede Form der biometrischen Auswertung des Internets in Deutschland einzusetzen.

Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, es zukünftig Bundespolizei und Bundeskriminalamt zu ermöglichen, automatisiert persönliche Daten aus bisher getrennten Datenbanken in eine „Superdatenbank“ zusammenzuführen und zur Analyse weiterzuverarbeiten. Diese KI-gestützte Auswertung riesiger Datenmengen birgt erhebliche Risiken für Grund- und Menschenrechte. Sie ermöglicht die umfassende Profilbildung von Individuen und beschränkt sich nicht auf Tatverdächtige, sondern umfasst auch Opfer, Zeugen und andere Personen, die zufälligerweise in polizeilichen Datenbanken erfasst sind. Die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse für die Polizeibehörden ist nicht gesichert, wenn private Unternehmen den zugrundeliegenden Code nicht offenlegen und bereits an sich unzureichend nachvollziehbare KI-Elemente integriert sind. Der Einsatz von KI birgt zudem ein hohes Risiko für die Diskriminierung bereits marginalisierter Gruppen der Bevölkerung. Bisherige Gesetzesgrundlagen für solche automatisierten Auswertungen in Hessen und Hamburg sind vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Er bringt also erhebliche rechtliche Unsicherheiten mit sich.

Ganz besonders bedenklich ist der laut aktueller Berichterstattung geplante Einsatz von Palantir zur Umsetzung der automatisierten Datenanalysen. Palantir ist eng verbunden mit dem Tech-Milliardär Peter Thiel, der bekennender Anhänger der Trump-Regierung und explizit der Auffassung ist, dass Demokratie nicht mit Freiheit vereinbar sei. Beim Einsatz von Palantir erhält das US-Unternehmen beziehungsweise seine Tochtergesellschaften Zugriff auf alle Daten der Polizeibehörden und kann sie potenziell in die USA übermitteln. Der Einsatz der Software gefährdet daher auch in ganz erheblichem Maße die digitale Souveränität Deutschlands.

Wir fordern Sie auf, sich für den Schutz aller Menschen und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen. Palantir darf nicht in Deutschland eingesetzt werden.

Insgesamt sieht der Referentenentwurf Maßnahmen vor, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem vermuteten Gewinn an Sicherheit stehen. Als Zivilgesellschaft haben wir die Erwartung, dass die Bundesregierung Gesetze vorlegt, die nicht ständig an der Grenze der Verfassungswidrigkeit und des Europarechts – und sogar darüber hinaus – segeln. Solche Gesetze führen nicht nur zu Grundrechtsverletzungen und Überwachung von Unschuldigen, sondern auch zu jahrelanger Rechtsunsicherheit, in der sich die Strafverfolgungsbehörden nicht auf die Rechtmäßigkeit ihrer Instrumente verlassen können. In der Vergangenheit wurde viel Geld und Zeit – beispielsweise bei der Vorratsdatenspeicherung – verloren, die man in die grundrechtskonforme Weiterentwicklung der Strafverfolgungsbehörden hätte investieren können.

Nicht zuletzt im Kontext erstarkender rechtsextremer Parteien muss der Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur, wie sie das Gesetzespaket durch biometrische Abgleiche und KI-Datenanalyse vorsieht, verhindert werden. Demokratische Kräfte müssen vielmehr gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren.

Wir fordern Sie deshalb dazu auf, den aktuellen Entwurf zurückzuziehen und sich stattdessen für grundrechtskonforme Polizeiarbeit und für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

  • AG KRITIS
  • AlgorithmWatch
  • Amnesty International Deutschland
  • Anoxinon e.V.
  • Chaos Computer Club
  • D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
  • Datenpunks e.V.
  • Deutsche Aidshilfe
  • Digitale Freiheit
  • Digitale Gesellschaft e.V.
  • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)
  • Humanistische Union e.V.
  • Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.
  • kleindatenverein
  • LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
  • netzforma* e.V. – Verein für feministische Netzpolitik
  • Pena.ger, die bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete
  • Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)
  • SUPERRR
  • Topio e.V.